Pilze haben viel mehr zu bieten, als man auf den ersten Blick sieht. Ihre fadenförmigen Zellen, die wie ein Wurzelgeflecht großflächig und unsichtbar unter der Erde wachsen, bieten ein enormes Potenzial für die Produktion nachhaltiger und biologisch abbaubarer Materialien. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP im Potsdamer Wissenschaftspark nutzen dieses Myzel, um eine breite Palette recycelbarer Produkte zu entwickeln, von Geldbörsen über Verpackungen bis hin zu Isolierungen.
Für die meisten von uns sehen Pilze aus wie eine gebogene Kappe und ein gebogener Stiel. Der größte Teil des Organismus besteht jedoch aus einem Netzwerk von Zellfilamenten, dem Myzel, das sich hauptsächlich unter der Erde erstreckt und beträchtliche Ausmaße erreichen kann. Dieses fein verzweigte Netzwerk wurde bislang kaum genutzt. Doch für Forscher am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam stellt Myzel einen zukunftsweisenden Rohstoff dar, der das Potenzial hat, erdölbasierte Produkte durch natürliche, organische Myzel-Verbundstoffe zu ersetzen.
Als Substrat für Pilzkulturen dienen organische Reststoffe aus der regionalen Land- und Forstwirtschaft. In verschiedenen Projekten nutzen Forscher myzelbasierte Materialien, um Isolierungen, Verpackungen und tierversuchsfreie Alternativen zu Lederprodukten herzustellen.
Myzelbasierte Materialien aus regionalen landwirtschaftlichen Reststoffen
„Angesichts des Klimawandels und der Verknappung fossiler Rohstoffe besteht ein dringender Bedarf an biologisch abbaubaren Materialien, die mit reduziertem Energieverbrauch hergestellt werden können“, erklärt Hannes Hinneburg, Biotechnologe am Fraunhofer IAP. Mit seinem Team nutzt er Myzel, zum Beispiel aus Speisepilzen oder Stützpilzen wie Austernpilzen oder Zunderpilzen, um lokal verfügbare Pflanzenreste in nachhaltige Materialien umzuwandeln.
„Myzel verfügt über Eigenschaften, die zur Herstellung umweltfreundlicher und energieeffizienter Materialien genutzt werden können, da das Pilzwachstum unter CO-freien Umgebungsbedingungen stattfindet2 „Die Zellulose bleibt im Reststoff gespeichert. Beim Zerfall von Zellulose und anderen organischen Reststoffen entsteht ein kompaktes, dreidimensionales Netzwerk, das die Entstehung einer sich selbst tragenden Struktur ermöglicht“, erklärt Hinneburg.
Auf diese Weise wird ein Material erhalten, das eine komplexe Verbindung mit einem organischen Substrat wie Getreideresten, Hackschnitzeln, Hanf, Schilf, Raps oder anderen landwirtschaftlichen Reststoffen darstellt. Diese Stoffe dienen dem Pilz als Nährstoffquelle und werden während des Stoffwechselprozesses vollständig von einem feinen Myzelnetz durchdrungen. Dadurch entsteht ein vollständig organischer Verbundwerkstoff, der durch Wärmebehandlung in die gewünschte Form gebracht und stabilisiert werden kann.
„Wir vermischen zunächst Wasser mit landwirtschaftlichen Reststoffen wie Stroh, Hobelspänen und Sägemehl zu einer Masse. Sobald der Feuchtigkeitsgehalt und die Partikelgröße bestimmt sind und die anschließende Wärmebehandlung zur Abtötung konkurrierender Keime abgeschlossen ist, ist das Substrat fertig. Es dient den Pilzen als Nahrung und wird mit dem Myzel vermischt. Nach einer Wachstumsphase von etwa zwei bis drei Wochen im Brutschrank entsteht aus der Mischung je nach Rezeptur und Verfahren eine lederartige Substanz oder ein Verbund, der weiterverarbeitet werden kann“, fasst Hinneburg den Prozess zusammen Produktion.
Für diesen Prozess wird kein Licht benötigt, was im Hinblick auf die Energieeffizienz von Vorteil ist.
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten: Festigkeit und Elastizität lassen sich gezielt konfigurieren
Pilzmaterialien können mit einem breiten Spektrum an Eigenschaften gezüchtet werden. Je nach Anwendung können sie stark, dehnbar, reißfest, wasserdicht, elastisch, weich und flauschig oder offenporig sein. Das Ergebnis wird durch die Kombination von Pilzart und landwirtschaftlichen Reststoffen sowie variablen Parametern wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit bestimmt. Auch die Dauer des Myzelwachstums beeinflusst das Endprodukt.
Die Vielseitigkeit des Materials ermöglicht es, sehr unterschiedliche Formen anzunehmen, von dicken Blöcken bis hin zu ultradünnen Schichten, und in einer Vielzahl von Situationen eingesetzt zu werden. So ist es möglich, pilzbasierte Materialien für Textilbespannungen, Verpackungen, Möbel, Taschen oder Isolierplatten im Innenbereich zu verwenden. Bei der Verwendung als Baumaterial fungiert der Pilz vor allem als biologischer Klebstoff, da verschiedenste organische Partikel durch das Myzel miteinander verbunden werden.
„Die vielen positiven Eigenschaften des Materials, wärmedämmend, elektrisch isolierend, feuchtigkeitsregulierend und feuerbeständig, ermöglichen einen wichtigen Schritt in Richtung zirkuläres und klimapositives Bauen“, erklärt Hinneburg, zu dessen aktuellen Projekten die Entwicklung einer neuen Alternative gehört Polystyrol zur Wärmedämmung.
In einem weiteren Projekt arbeitet er gemeinsam mit dem Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung und der Agro Saarmund eG an der Herstellung umweltfreundlicher Verpackungsschalen auf Myzelbasis, aus Reststoffen und Rohstoffen der örtlichen Land- und Forstwirtschaft.
Im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit Designern hat er auch das Basismaterial für tierfreie Alternativen zu Lederprodukten wie Taschen und Geldbörsen entwickelt. Da Materialien auf Myzelbasis ihren Gegenstücken aus Leder ähneln, können sie in bestimmten Bereichen als Ergänzung zu Lederartikeln verwendet werden.
Entwickeln Sie industrielle Prozesse
In Europa entwickeln derzeit nur wenige Unternehmen myzelbasierte Materialien für die kommerzielle Nutzung. Zu den Herausforderungen in diesem Bereich gehören der Zugang zu biogenen Reststoffen, die Fähigkeit, eine gleichbleibende Produktqualität sicherzustellen und die Mittel zur effektiven Ausweitung der Aktivitäten.
Um diesen Herausforderungen zu begegnen, entwickelten die Forscher eine neue Walzenherstellungsmethode, von der sie bereits einen Prototyp erstellt haben. Diese Methode hat erhebliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Herstellungsprozessen mit Kisten und Regalsystemen: Durch die Verwendung einer standardisierten, kontinuierlichen Produktionsmethode unter kontrollierten Prozessbedingungen (wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit) können Forscher sicherstellen, dass Myzelprodukte konsistente Materialeigenschaften aufweisen. Darüber hinaus können Ressourcen effizienter genutzt und die Produktion auf den industriellen Maßstab ausgeweitet werden.
„Dies ist von entscheidender Bedeutung, um den wachsenden Bedarf der Branche an nachhaltigen Materialien zu decken und langfristig unabhängiger vom Öl zu werden. Auch durch den Einsatz innovativer Technologien wie künstlicher Intelligenz zur Optimierung der Kombination von Reststoffen und Pilzarten lässt sich die Produktion verbessern“, sagt Hinneburg.
Bereitgestellt von der Fraunhofer-Gesellschaft
Zitat:Using fungal mycelium as a basis for sustainable products (2024, 2. September), abgerufen am 2. September 2024 von https://phys.org/news/2024-09-fungal-mycelium-basis-sustainable-products.html
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