Chemischer Trick aktiviert Antibiotikum direkt auf Krankheitserreger

Kredit: Angewandte Chemie Internationale Ausgabe (2024). DOI: 10.1002/ange.202408360

Colistin ist ein Antibiotikum der letzten Wahl, das normalerweise nur bei schweren Infektionen eingesetzt wird, die durch resistente Bakterien verursacht werden. Dies ist auf die schwerwiegenden, nierenschädigenden Nebenwirkungen zurückzuführen, die bei etwa 30 % der behandelten Patienten auftreten. Einem Forscherteam des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) ist es nun gelungen, eine inaktivierte, harmlose Form von Colistin herzustellen, die im Körper nur über chemische Schalter aktiviert wird.

Bei dieser sogenannten Click-and-Release-Technik werden die chemischen Schalter gezielt mit pathogenen Bakterien verknüpft. Das verabreichte maskierte Colistin wird daher gezielt am Wirkort aktiviert. Forscher hoffen, dass dadurch Nebenwirkungen reduziert werden könnten. Die Studie wird in der Zeitschrift veröffentlicht Angewandte Chemie Internationale Ausgabe.

„Aufgrund zunehmender Resistenzen kommt es immer häufiger vor, dass gängige und gut verträgliche Antibiotika gegen gefährliche bakterielle Krankheitserreger nicht mehr wirken“, erklärt Professor Mark Brönstrup, Leiter der Abteilung Chemische Biologie am HZI und Wissenschaftler am DZIF. Forschungsschwerpunkt „Neue Antibiotika“.

„Das Antibiotikum der letzten Wahl, Colistin, ist in dieser Notlage eine wichtige Hilfe. Allerdings birgt seine Gabe das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen: Es wirkt stark nephrotoxisch und Langzeitfolgen sind nicht auszuschließen“, erklärt Brönstrup.

Colistin wurde in den 1950er Jahren entwickelt und wurde aufgrund seiner stark nephrotoxischen Wirkung mehrere Jahrzehnte nach seiner Entwicklung nicht beim Menschen angewendet. Der Mangel an wirksamen Antibiotika machte jedoch ihre Wiederbelebung notwendig: etwa bei der Behandlung gefährlicher Krankenhauskeime wie Carbapenem-resistente Enterobakterien oder Acinetobacter baumannii. Colistin steht auch auf der Liste der unentbehrlichen Arzneimittel der Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Es wäre von Vorteil, wenn Colistin chemisch so modifiziert werden könnte, dass es nicht mehr so ​​schädlich für die Nieren ist und dennoch seine hohe antibiotische Wirksamkeit behält.

„Solche Forschungsansätze wurden in verschiedenen Studien verfolgt, mit gemischtem Erfolg“, sagt Brönstrup. „In unserer aktuellen Studie haben wir daher einen anderen Ansatz gewählt: Wir wollten Colistin in maskierter und harmloser Form über die Blutbahn durch den Körper schicken und es über ein Schaltsystem auf Krankheitserreger gezielt aktiv machen.“

Diese sogenannte „Click-to-Release“-Technik basiert auf einem chemischen Wirkprinzip, bei dem ein aus zwei Komponenten bestehender Wirkstoff unter dem Einfluss eines chemischen Schalters in diese beiden Komponenten zerfällt und so den gewünschten Wirkstoff aktiviert. Diese Technik wird seit rund zehn Jahren in der Krebsforschung eingesetzt.

Um die Click-to-Release-Technik in ihrem Forschungsansatz nutzen zu können, benötigten die Forscher zunächst eine zweite Komponente, die an Colistin bindet, es unschädlich macht und über einen Schalter wieder vom Wirkstoff getrennt werden kann. .

Zu diesem Zweck wurden mehrere chemische Varianten einer Substanz namens trans-Cycloocten (TCO) in Betracht gezogen, die mithilfe des chemischen Schalters Tetrazin wiederum von Colistin getrennt werden konnte. Die Forscher führten Zellkulturexperimente mit Nierenzellen durch, um die Toxizität von mit verschiedenen TCO-Varianten modifiziertem Colistin zu testen.

„Leider war TCO-maskiertes Colistin deutlich toxischer als reines Colistin, was für uns zunächst eine herbe Enttäuschung war“, sagt Dr. Jiraborrrirak Charoenpattarapreeda, Forscher in der Abteilung für Chemische Biologie und Erstautor der Studie.

„Dieses Problem konnten wir jedoch lösen, indem wir das TCO mit Aspartat weiter modifizierten. Dadurch verschob sich die Ladung des modifizierten Colistins in den negativen Bereich, wodurch es weitgehend daran gehindert wurde, an Nierenzellen zu binden und toxische Wirkungen auszulösen.“

Ihr „Click-and-Release“-Konzept testeten die Wissenschaftler an einem Mausmodell. Es gab zwei Stellen einer Escherichia coli-Infektion: eine im Oberschenkel und eine in der Lunge. Das maskierte Colistin wurde über den Blutkreislauf verabreicht und die chemischen Schalter wurden über ein Nasenspray inhaliert. Dadurch sollte sichergestellt werden, dass das maskierte Colistin gleichmäßig im Körper verteilt wird, die Schalter sich jedoch nur an Bakterien in der Lunge anheften können.

„Mit diesem experimentellen Ansatz wollten wir testen, ob das maskierte Colistin im Körper wirklich nur dort aktiv ist, wo es auf die Schalterkomponente trifft“, erklärt Charoenpattarapreeda. Und genau das geschah: Die Bakterien in der Lunge wurden abgetötet und die Entzündung ließ nach. Aber die Oberschenkelinfektion reagierte nicht, die Bakterien wurden durch das maskierte Colistin nicht angegriffen und es hatte keine Wirkung.

„In der vorliegenden Studie haben wir das erste systemisch wirkende Zweikomponenten-Antibiotikasystem entwickelt, das durch Click-to-Release-Chemie auf Erregerebene aktiviert wird“, erklärt Brönstrup. „Dadurch kann Colistin in hohen Konzentrationen nur dort eingesetzt werden, wo es benötigt wird, nämlich direkt am Erreger selbst. Nebenwirkungen können so vermieden oder reduziert werden.“

Die Forscher hoffen, dass dieser Ansatz künftig dazu beitragen kann, die Nebenwirkungen von Antibiotika und anderen Medikamenten zu minimieren und sie für Patienten verträglicher zu machen. „Bis wir das schaffen, muss noch viel geforscht werden. Davon sind wir noch weit entfernt“, sagt Brönstrup. „Aber es könnte sich lohnen.“

Weitere Informationen:
Jiraborrirak Charoenpattarapreeda et al.: Die klickgesteuerte Aktivierung von Colistin, einem Antibiotikum der letzten Wahl, reduziert seine Toxizität für Nierenzellen. Angewandte Chemie Internationale Ausgabe (2024). DOI: 10.1002/ange.202408360

Bereitgestellt von der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren

Zitat: Chemischer Trick aktiviert Antibiotikum direkt auf Krankheitserreger (21. Oktober 2024), abgerufen am 21. Oktober 2024 von https://phys.org/news/2024-10-chemical-antibiotic-pathogen.html

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By rb8jg

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